Was für Phasen hat der kreative Prozess? Und warum erinnert er mich an das Atmen?

Veröffentlicht am Kategorisiert in Kreativität/ Kunst und Psyche

Vielleicht habt ihr euch auch schon mal gefragt, wie so ein kreativer Prozess abläuft bzw., ob er denn überhaupt irgendein System hat. Denn oft hört man ja nur von der so gelobten Intuition , die man haben muss oder es reicht auch einfach mal duschen zu gehen. Daher schaue ich mir den Prozess mal etwas tiefer an.

Der kreative Prozess beschreibt die einzelnen Schritte im Umgang mit den aufkommenden Herausforderungen. Sei es, wenn wir eine Aufgabe erledigen müssen, einen neuen Tisch konstruieren oder auch ein Verhalten ändern wollen. Diese einzelnen Schritte werden unterschiedlich in der Wissenschaft beurteilt, und daher gibt es verschiedene Modelle dazu. Die Phasen beinhalten die Zeitabfolgen.

4-Phasen Modell

Dieses Modell ist dabei wohl das bekannteste und gebräuchliste. Henri Pointcare, ein französischer Mathematiker, benannte 1913 dabei vier Stufen kreativer Prozesse. 1926 hat diese Graham Walles übernommen. In seinem Buch „The art of tought“ erläutert er diese Phasen, die bis heute beibehalten wurden.

  • Preparation
  • Inkubation
  • Illumation
  • Verifikation

1. Phase: Preparation (Vorbereitung -aktiv)

Der Beginn dieser Phase ist die Bewusstwerdung, dass ein Problem existiert. Diese Vorbereitungsphase- auch Exploration – genannt ist geprägt von einem sehr stark entdeckenden Charakter. Informationen über das Problem oder die Aufgabe werden in dieser Phase gesammelt. Später werden aus diesem Material Lösungsansätze entwickelt. In der intensiven Problembearbeitung wird der aktuelle Wissensstand überprüft und es entstehen erste Teillösungen.

2.Phase: Inkubation (es auf sich wirken lassen – passiv)

Nachdem nun Informationen gesammelt wurden, vielleicht auch erste Lösungsansätze entwickelt wurden, geht es jetzt darum, erst einmal nichts zu tun. Das bedeutet, sich physisch und psychisch vom Problem zu lösen und es einfach wirken lassen. Es ist der Zeitpunkt, in der das Unterbewusste seinen Auftritt hat. Daher stehen entspannende Tätigkeiten im Vordergrund. Es ist förderlich sich dabei auch mit inneren Bildern oder seinen Träumen näher zu befassen.

3. Phase: Illumination (Erleuchtung)

Die plötzliche Erleuchtung oder der glasklare Gedanke unter der Dusche wird als kreativer Einfall bezeichnet. Es fühlt sich dabei alles richtig an. Es ist der Weg, den es einzuschlagen gilt, auch wenn es zunächst nur eine ungefähre Vorstellung ist. Dennoch weiß man, dass man dieser Spur nachgehen muss. Dieser spontane Einfall ist unberechenbar. Man weiß nie, ob er kommt und wann und auch nicht wie. So lesen wir einen Ausschnitt in der Zeitung und stolpern über ein Wort, dass eine Lösung in sich birgt. Oder wir sprechen in einer Gruppe über ein ganz belangloses Thema und auf einmal wird mir ein Zusammenhang für eine ganz andere Sache klar.

4.Phase: Verifikation (Überprüfung)

Dieser Funke einer Idee wird nun im Tatsächlichen überprüft, ob sie auch den Anforderungen der Problemlösung gerecht wird. Oder bleibt sie nur ein Funke, der schnell verglüht. In dieser Phase nimmt die Idee Gestalt an. Dabei werden Lösungsansätze systematisch ausgearbeitet und auf Machbarkeit geprüft und überarbeitet. Es ist die Zeit der Konkretisierung.

Weitere Modelle

Daneben gibt es noch weitere Modelle wie das Kreislaufmodell (Luther), das 7-Schritte Modell, das Lateral Thinking Modell von de Bono, die Dialogtechnik von Hegel, die weitere Phase von Motamedi oder auch das Modell von Beuys.

Auflistung der Modelle in Kurzform.

Alle diese Modelle sind es wert, sie einmal kurz anzuschauen oder sich mit einigen vielleicht noch etwas näher zu befassen. Denn jede Wahrnehmung auch für Prozesse ist anders und jede Art von Veränderung benötigt eine andere Art von Vorgehensweise. Je nachdem, ob man z.B. ein Künstler ist, ein Unternehmensberater oder ein Wissenschaftler oder auch eine Person, die neue Verhaltensweisen für sich entdecken will.

Es ist von Vorteil, die Phasen des kreativen Prozesses zu kennen

Bei all diesen strukturierten Abläufen ist klar, dass diese in der Wirklichkeit nicht linear verlaufen. Dabei kommt es auch auf das jeweils genutzte Modell an bzw. auf die gewählte Lösungsweise an. So springen wir manchmal von einer Phase in die übernächste und wieder zurück. Dadurch entstehen chaotische Linien, die sich aber alle um den Strang der Systemstruktur schlingen. Und trotz oder gerade wegen dieses Chaos kommen wir am Ende an.

Die Struktur erlaubt uns ein tiefes vertrauensvolles Hineinfallen in die Lösungsfindung. Denn die Struktur hält uns, richtet uns immer wieder auf, weist uns den Weg, wenn wir verloren gegangen sind im Chaos. Ohne diese Struktur würden wir zerfließen, verzweifelnd im Chaos versinken. Denn wenn niemand uns Struktur, ein Netz mit Sicherheit gibt, driften wir ins Nirgendwo ab. Oder wir wagen auch nur kleine Schritte, wenn überhaupt. Denn die Gefahr abzudriften ist gegeben, da niemand uns zurückholt in eine Art Form. Denke an die Rosen, die eine Wand benötigen, um kraftvoll nach oben zu blühen. Oder denke an endlose Diskussionen, wo es von Pontius zu Pilatus geht, bei denen man am Ende gar nicht mehr weiß, worum es eigentlich geht. Systemmodelle geben uns diese Struktur. Sie zeigen auf, wo wir uns gerade befinden, wenn wir uns ins Nebulöse vorwagen, ins „Spinnen“, ins Abenteuer, ins Chaos. Und auch, wie wir wieder auf den Punkt oder „nach Hause“ kommen. Würden wir aber auch nur ganz strikt dieser Struktur folgen, so würde wir nie einen Blick hinaus aus unserem „Denkturm“ kommen, unserem Zuhause. Wir würden mit unseren Ideen bei denen bleiben, die sich schon in unserem „Denkturm“ oder besser gesagt „Denkgefängnis“ befinden. Neue Ansätze oder eine Sicht von außen blieben uns verborgen.

Abgesehen von der Balance des Chaos und der Struktur wie eben erläutert, ist es auch von Vorteil zu sehen, an welchen Stellen es für uns im kreativen Prozess, sagen wir mal, nicht so gut vorangeht. Manch einer ist wie ein Staubsauger, wenn es um Informationssammlung geht, bei dem Thema des Feinjustierens, da wird jedoch ganz still. Gerade deshalb ist es so wichtig, sich selbst einmal zu beobachten, um sich einordnen zu können. Daraus kann man für sich Lösungen entwickeln, wie man damit umgeht, welche Schritte man anwenden sollte oder auch gerade für diesen Schritt eine andere Person miteinbezieht.

Meine eigene Erfahrung mit den Phasen des kreativen Prozesses – weit und eng, ein und aus

In meiner KreativTrainerausbildung hatten wir eine Aufgabe, welche sich „Tisch decken für einen imaginären Gast“ bei uns zu Hause nannte. Dort war es die Herausforderung einen Tisch mit Gegenständen zu decken, die NICHT typischerweise aus der Küche stammten. Dabei sollten wir diesen Prozess, den wir dabei durchlaufen, an uns selbst beobachten und darlegen, sei es schriftlich, visuell, oder auf andere Ausdrucksweisen. Das Gute war, dass ich mich sehr „jungfräulich“ auf diese Übung einlassen konnte, gerade im Hinblick auf die Reflexion, da ich noch nicht viel Theoriewissen über den kreativen Prozess hatte.

Dies war mein gedeckter Tisch mit Gegenständen, die NICHT aus der Küche stammten.

So habe ich den Tisch gedeckt, welches sich über 2 Tage zog und mich dabei beobachtet, was in mir vorging. Ich habe diese Gedanken aufgeschrieben und es dann auch noch visualisiert. An sich dachte ich, es reiche diese Gedanken aufzuschreiben, aber die Visualisierung zeigte mir meinen Prozess noch einmal von einer ganz andere Seite bzw. in Form einer großen Perspektive.

Dies ist meine Skizze, die noch etwas diffus ist, weil ich viele Gedanken dazu eingetragen habe. Dies ergibt noch kein klares Bild. Dennoch sieht man schon, dass die Kreise teilweise alleine stehen bzw. ein Gitternetz haben (meine Art zu zeigen, dass daraus wieder mehr Ideen entstehen) und dann wieder Kreise wie Luftballons.

Ohne die kleinen Notizen und Ablenkungen bleibt eine pure Form. Lediglich ein paar Farben habe ich bei den Erweiterungen eingezeichnet, um deren Buntheit, Leichtigkeit auszudrücken. Es ist ein Zusammenziehen und dann wieder ein Erweitern und das in einem Rhythmus.

Und dieses Buchcover des Buches „Breath Atem“ von James Nestor erinnert mich sehr stark an meine Skizze. Ich finde dort meine Kreise und die Verzweigungen wieder. Dieses Buch habe ich ca. 1 Jahr nach meiner Skizze geschenkt bekommen. Und als ich das Cover mit den Abzweigungen und Kreisen sah, fiel mir wieder meine Skizze ein. Und so kam der Zusammenhang mit dem Atmen.

Mein kreativer Prozess hatte für mich etwas vom Atmen. Das Ein und Aus. Das Enge, das Weite.

Und wenn ich es weiter interpretieren sollte, würde ich sagen, mein kreativer Prozess weist hauptsächlich auf die männliche Energie (enge) und die weibliche Energie (weite) hin, die miteinander zusammenwirken. Letztendlich ist es das Wort Kreativität, was ich hier nachempfunden habe. Das Wort „Kreativität“ stammt vom lateinischen Verb „creare“ ab, das mit „erschaffen“, „erzeugen“ und gebären übersetzt wird. Der Begriff enthält als weitere Wurzel das lateinische „crescere“, das „geschehen und wachsen“ bedeutet. Diese Doppelgesichtigkeit der Kreativität zwischen aktivem Tun und passivem Geschehen spricht demnach genau das an, was ich wahrgenommen habe.

Mir ist durch dieses Visualisierung auch klar geworden, dass der kreative Prozess eigentlich Leben bedeutet. Denn nichts anderes ist Leben, das Ein- und das Ausatmen, das Männliche und das Weibliche im regen Austausch.

Der Atem holt uns wieder zurück in unseren jetzt anstehenden Prozess.


Der Atem ist die Brücke, die das Leben mit dem Bewusstsein verbindet, die Brücke, die Deinen Körper mit Deinem Gedanken verbindet. Wann immer Dein Geist zerstreut ist, benutze Deinen Atem, um die Verbindung wieder herzustellen.“

Thich Nhat Hanh

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