„Fertig“ sein und seine Bedeutung
Diese Frage kam in mir auf, als ich noch einmal auf mein Werk von der Forschungsreise „Essenz – ein kreativer Prozess“ blickte. Dabei stellte ich fest, dass irgendetwas fehlt. Es war also irgendwie noch nicht „fertig“. Ja, aber wann ist es „fertig“? Ich habe extra das Wort „fertig“ benutzt, weil es umgangssprachlich so oft benutzt wird. Es zeugt von praktisch – fertig – gut. Das Erzeugnis ist fertig! Vielleicht maschinell hergestellt mit bestimmten Prozessabläufen. DIE FERTIGUNG, so spricht man doch von der Industrieabteilung, in welcher unsere Produkte hergestellt werden. Und so war mein Bild auch „fertig“ nach dem Prozess mit bestimmten Kriterien , die ich anwendete. Schritt für Schritt habe ich mich hauptsächlich mit den vorgegebenen Kriterien an das künstlerische Werk angenähert. Das half mir auch auf neue Ideen zu kommen. Und am Ende war es auch soweit, mein Bild war „fertig“ im prozesshaften Sinne.
Das Loch in mir
Ein paar Wochen später betrachtete ich das Bild noch einmal und in mir regte sich etwas. Eine leichte Unruhe, wenn ich das Bild ansah. Nein, irgendwie schrie es nach etwas. Es fühlte sich in meinem Körper keineswegs rund an, nicht genährt oder voll gesättigt. Nein, irgendwie signalisierte mein ganzes System eine Art Mangel. Ich spürte dies sowohl körperlich, von der Logik her und auch vom Herzen in mir drin. Es war wie ein Loch in mir, dass nicht zuging. Es schrie danach ausgefüllt zu werden.
Die Bearbeitung des Lochs
Deshalb ließ ich das Bild noch einmal auf mich wirken. Eine Idee kam hoch. Bunte Schnipsel aus Zeitschriften um das vorhandene Bild herumdrapieren. Beim Machen erst entdeckte ich, wo sie zu platzieren sind. Als dies fertig war, hing es so 10 Tage in einem Rahmen an meiner Wand und auch dann, ereilte mich die Gegenwart des gefühlten Loches in meinem Körper. Etwas fehlte immer noch. Verrückt, oder? Ja, so schnell war ich doch nicht mit meinem Bild eins. Es ist eine Auseinandersetzung, eine Beziehung , die man eingeht. Bei der weiteren Erstellung und mit dem Beschäftigen tauchte eine Art Quelle im Bild auf, die sich auch erst langsam entwickelte, bis zuletzt die weiße Blubberblasen enthalten waren. Dann folgte bei mir ein Aufatmen, Ruhe, Stille. Das Bild war nicht einfach nur „fertig“. Nein, es ist für mich eher in Richtung vollendet sein, mit sich und dem Bild. Merkt ihr, was für Unterschiede die Worte machen? Vooooooll-ennnnn-deeeeet und nicht wie das Wort fer.tig. Das ist ein großer Unterschied.
Und daran erkenne ich es. Diese Vollendung spürst du in deinem Körper, in deiner Gesamtheit. Jetzt ist es gut. Alles kommt zur Ruhe. Es ist in Ordnung.
Was das Loch mit unseren alltäglichen Handlungen zu tun hat
Diese Phasen der Vollendung gibt es auch in unserem alltäglichen Leben. Und du merkst auch dort den Unterschied zwischen „fertig“ und vollendet.
Nehmen wir dazu unser Essen. Du schiebst dir eine Fertiggericht in die Mikrowelle oder du kochst dir ein kleines Menü mit frischem Gemüse und ein gutes Stück Fleisch und einem Salat. Was empfindest du? Wo ist das Essen „fertig“ und wo vollkommen? Wo bist du gesättigt?
Oder du lernst jemanden kennen, ihr versteht euch, seid eine Weile oder länger zusammen und plötzlich, weg ist die Person, aus deinem Leben entschwunden. Die Beziehung ist nicht vollendet, sie ist „fertig“.
Oder eine Beerdigung, alles perfekt geplant so wie es im Lehrbuch steht. Jedoch ohne persönliche berührende Momente.
Oder du lernst, stopfst alles in dich hinein, lernst auswendig und dann am Ende , die Klausur ist „fertig“. Welches Gefühl hast du danach mit deinem angelernten Wissen?
All diese Beispiele zeigen, dass irgendetwas fehlt. Keine Vollendung. Es bleibt etwas wie ein Mangel in deinem System, denn die Vollendung fehlt. Also, gehst du los, isst mehr, suchst dir den nächsten Partner, der Abschied hängt dir nach und du bist leer nach all dem auswendiggelernten Zeug.
Es bleibt ein Mangel in uns. Vieles ist fertig, aber eben nicht vollendet. Und was machen wir bei einem Mangelgefühl? Genau, wir wollen immer mehr. Es ist an sich ein tolles psychologisches Marketingtool, um immer mehr Konsum anzuregen. Denn wir kennen das „fertig“ sein so gut, bei jedem schnellen Frusteinkauf. Es gibt uns Sicherheit für den Moment. Je mehr und je schneller, desto besser. Das gibt uns diese scheinbare Sicherheit. Die Sicherheit für einen Augenblick den Mangel zu eliminieren.
Schlussgedanke und Empfehlung
Ich bin davon überzeugt, dass in der tatsächlichen „Vollendung“ eine große Kraft liegt. Es birgt die Schönheit in sich, die Ordnung. Wie dies geschieht? Indem du präsent bist, im Körper, im Verstand und im Herz. Das Bilder malen ist eine Möglichkeit dieses Präsent sein zu üben. Und dann beginnst du den Unterschied zwischen „fertig“ sein und vollendet wahrzunehmen und überträgst sich auf dein alltägliche Leben. Du wirst satter und nicht mehr so anfällig für äußere Gelegenheiten.
Ob mein Bild für mich nun immer vollendet sein wird? Das weiß ich nicht. In diesem Augenblick ist es so. Aber wisst ihr, was ich mir wirklich wünsche. Am Ende des Lebens zu sagen : ES IST VOLLENDET.
Vielen Dank fürs Lesen ,
Eure Sandra